Edith Hamilton
The Greek Way
Inhaltsübersicht
© 2004 Thorwald C. Franke
Five hundred years
before Christ in a little town on the far western border of the settled and
civilized world, a strange new power was at work. ... Athens had entered upon
her brief and magnificent flowering of genius which so molded the world of mind
and spirit, that our mind and spirit today are different. ... What was then
produced of art and of thought has never been surpassed and very rarely
equalled, and the stamp of it is upon all the art and all the thought of the
Western world. (Edith Hamilton, The Greek Way, Chapter I)
Inhalt
Die Griechische Literatur als das Refugium für höhere Orientierung
Kapitel I – East and
West
Die Ursachen für die griechischen Errungenschaften sind weitgehend unbekannt
Der Westen – Rationalität und Spiritualität in Balance: Frei, modern
Der Osten – Orientalische Despotie, weltabgewandte Spiritualität
Kapitel II – Mind and
Spirit
Die griechische Lebensfreude als die Quelle der Freiheit
Begeisterung für das Denken an sich – Liebe zur Weisheit
Mutige Zuwendung der Gedanken zur Welt an sich
Die Griechen kombinierten Rationalität und Spiritualität
Religiosität: Keine Priestermacht – Abstrakter als üblich
Kapitel III – The Way
of the East and the West in Art
Rationalität und Spiritualität: Realitätsbezug vs. Realitätsferne
Spirituelle Kunst ist erstarrt, symbolisch, überfrachtet, weltfremd, unmenschlich
Die Renaissance-Kunst kam dem Vorbild bislang am nächsten
Griechische Kunst: Realistisch, einfach, klar, menschlich
Der Griechische Tempel: Majestätisch und menschlich, einfach und schön
Kapitel IV – The
Greek Way of Writing
Der griechische Stil ist klar und einfach bis zur Befremdlichkeit
Vergleich von englischer und griechischer Literatur
Hebräischer und Griechischer Stil als Gegenpole
Der Griechische Stil will den Geist anstoßen, ihn in Gang setzen
Kapitel V – Pindar,
The Last Greek Aristocrat
Pindars Sprache ist urgewaltig, großartig
Aristokrat am Ende der Aristokratie
Blind für das Neue, verhaftet im Alten
Kapitel VI – The
Athenians as Plato Saw Them
Die Athener waren hochzivilisiert: Liebe zur Schönheit und zum Realismus
Athener kamen ohne Lebenslügen aus – wir heute sind die Sentimentalen
Platon als historische Quelle wertvoll
Platons Gesellschaft: Hochkultiviert und vielseitig entfaltet
Sokrates: Gesellig, kultiviert, vielseitig; der perfekte Gentleman
Anm.: Sokrates war weniger ein Gentleman als vielmehr ein denkender Außenseiter
Sokrates stößt das Denken an, ohne zu belehren
Sonstiges Sokrates
Kapitel VII –
Aristophanes and the Old Comedy
Aristophanes als Quelle seiner Zeit
Vitalität als die gemeinsame Ursache für Meinungsfreiheit, Bildung und Derbheit
Analogien zur englischen Literatur, Gilbert
Kapitel VIII – Herodotus,
the First Sight-Seer
Die Griechen begannen als erste, die Sklaverei infrage zu stellen
Nach dem Sieg über die Perser hatten die Griechen Muße
Herodot ist ein Musterbeispiel für den griechischen Drang, herauszufinden
Der Stil Herodots ist menschlich und klar
Herodot ist religiös skeptisch
Zur Glaubwürdigkeit Herodots
Die Historien entfalten den Gegensatz zwischen West und Ost
Perserkriege als metaphysischer Kampf zwischen West und Ost / Freiheit und Despotie
Kapitel IX –
Thucydides, The Thing That Hath Been is That Which Shall Be
Thukydides identifizierte Grundmuster der Geschichte als Warnung
Macht führt zu Gier und damit stets zum eigenen Untergang
Dekadenz des athenischen Geistes hin zu Egoismus und Zynismus
Sonstiges: Spartanischer Geist, Sizilische Expedition
Kapitel X – Xenophon,
The Ordinary Athenian Gentleman
Xenophon war ein konsumierender Gentleman, der die Welt unproblematisch sah
Aristokratische Gesinnung, Vision einer institutionalisierten Konfliktlösung
Der Zug der Zehntausend
Der Zug der Zehntausend als das griechische Ideal en miniature
Balance zwischen privatem und öffentlichem Leben
Kapitel XI – The Idea
of Tragedy
Die Geburt der Tragödie aus dem griechischen Geist der Freiheit
Die Tragödie beruht auf der höheren Leidensfähigkeit des Menschen
Tragik: Mitten im Weltschmerz entsteht freudiger Trost durch Begreifen der Affirmation
zur Fügung ins Unvermeidliche als etwas - meist überpersönlich - Sinnhaftes
Vergleiche zu anderen Literaturen
Anmerkungen Übersetzung
Kapitel XII –
Aeschylus, The First Dramatist
Aeschylus erfand die Tragödie vor dem Hintergrund des Sieges über die Perser
Bei Aeschylus ist das tragische Moment am intensivsten gefasst
Vergleich von Aeschylus' Stil mit Shakespeares Macbeth
Aeschylus war ein selbständiger Denker
Lösung der Theodizee durch die Tragödie: Einsicht in Fügung durch Leiden
Kapitel XIII –
Sophokles, Quintessence of the Greek
Kompromissloser Tragiker, der innere Stärke dem Äußeren entgegensetzte
Sophokles als Inbegriff des Griechischen: Ordnung
Vergleich von Sophokles mit Aeschylus: Feiner vs. Tiefer
Vergleich von Sophokles mit Milton
Kapitel XIV –
Euripides, The Modern Mind
Singulärer Meister des Mitgefühls, Verteidiger des Wertes jedes Menschen
Der moderne Geist: Fundamentale, rebellische Kritik
Anm.: Euripides betrieb eher sozialpolitische Propaganda statt Tragik
Euripides verwarf die überlieferte Religion angesichts des Übels
Biographisches: Ungeliebter, unbequemer, unverstandener Menschenfeind
Kapitel XV – The
Religion of the Greeks
Vgl. Kapitel II: Religiosität: Keine Priestermacht – Abstrakter als üblich
Die Religiosität der Griechen wird häufig unterschätzt und übersehen
Selbständiges Forschen ohne Autoritäten, Formung durch Dichter, Künstler etc.
Die Areté als das einzig herrschende Ideal
Homer prägte die Griechen: Rational, furchtlos, menschliche Götter
Homer aus eigenem Geist heraus infrage gestellt
Gott Dionysos als der notwendige und gezähmte Gegenspieler Apolls
Theater als religiös-weltanschaulich überhöhendes Gemeinschaftserlebnis
Sokrates als Erneuerer des griechischen Geistes
Anm.: Hamiltons Darstellung der griechischen Religiosität ist teils falsch
Anm.: Edith Hamilton scheint einer Art Kultur-Christentum verhaftet zu sein
Blick auf den größeren Zusammenhang
Der Blick auf den größeren Zusammenhang führt zur Vereinfachung des Details
Die Vereinfachung im Detail löscht die Individualität jedoch nicht aus
Rationalität/Typus und Spiritualität/Individuum befinden sich in Balance
Kapitel XVII – The
Way of the Modern World
Seit damals ist die griechische Balance aus Rationalität und Spiritualität unerreicht
Heute sei der Einzelne zu stark im Fokus
Über den Weg der Wissenschaft zu mehr Balance zwischen Einzelnen und Ganzem?
Der Westen könne das Ringen um die griechische Balance nicht aufgeben
Anm.: Zur Glaubwürdigkeit von Edith Hamilton
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Vorwort
Die Griechische
Literatur als das Refugium für höhere
Orientierung
9 Sénancour: Pflege jener stillen Heiligtümer, die unsere ewigen Perspektiven bewahren.
Neben der Religion gibt es auch andere Refugien,
in denen wir frei atmen und uns an höheren Idealen orientieren können.
Sie sind das schwer errungene und andauernde Eigentum der Menschheit.
10 Unser Urteil über aktuelle Fragen wird ohne höhere Perspektive fehl gehen.
Die Republik der Literatur, ein freies Land, ein Land ohne nationale Grenzen.
Über allen Refugien stehe die griechische Literatur in ihrer Ausgeglichenheit des Geistes.
Greece
and her foundations are
Built
below the tide of war,
Based
on the crystalline sea
Of
thought and its eternity.
Kapitel I – East
and West
Die Ursachen für die
griechischen Errungenschaften sind weitgehend unbekannt
13 Was die Griechen erreichten, hat unmittelbare Bedeutung auch für uns heute.
14 Nur ein kleiner Teil des griechischen Erbes ist überliefert. Das beste ist vielleicht verloren.
Doch selbst die Trümmer dieses Erbes zeigen Exzellenz in allen Teilen.
Heute sind die Errungenschaften der Griechen allgemein anerkannt.
Die Ursachen für die Errungenschaften der Griechen sind jedoch weitgehend unbekannt.
Häufig spricht man einfach nur vom griechischen „Wunder“.
Der Westen –
Rationalität und Spiritualität in Balance: Frei, modern
15 Mit den Griechen kam etwas völlig neues, beispielloses in die Welt.
Die Griechen waren die ersten Westler, sie gehören der modernen Welt an.
16 Die Griechen errichteten das Primat des Verstandes und wurden die ersten Intellektuellen.
Wir übersehen heute gerne, dass Rationalität nicht selbstverständlich ist, siehe der Orient.
17 Rationalität und Spiritualität (mind and spirit) unterscheiden den Menschen vom Tier.
Hl. Paulus: Sichtbare Dinge sind zeitlich, unsichtbare Dinge sind ewig.
Das Sichtbare entspreche der Rationalität, das Unsichtbare der Spiritualität.
Für kurze Zeit verbanden sich in Griechenland Rationalität und Spiritualität, West und Ost.
Anm.: Eine genauere Verhältnisbestimmung von Freiheit und Verstand fehlt bei Hamilton leider.
Anm.: Auch Kreta und Mykene markieren bereits die Wegscheide von West und Ost.
Der Osten –
Orientalische Despotie, weltabgewandte
Spiritualität
15 Überall in der alten Welt finden wir dasselbe Grundmuster von Gesellschaft:
Ein Willkürherrscher, eine unterjochte Bevölkerung, eine Priesterkaste.
Es ist der Geist des Ostens, der sich nie ändert, bis heute nicht, das Paradigma des Orients.
16 In der Welt rings um Griechenland spielte der Verstand die geringste Rolle.
Im Vordergrund stand die Spiritualität, die Wendung nach Innen, die Erfahrung.
17 Das Sichtbare ist dem Unsichtbaren untergeordnet.
Ägypten als typisches Negativbeispiel, Kultur, Kunst usw.
18 Priesterkaste, Echnaton.
19 Asien, Indien wie Ägypten.
20 Die Mathematik blühte, weil es sich um Theorie fernab der Realität handelt.
Buddhistische Priesterkaste.
15 Rom: Eher unmodern. Hamilton nimmt dabei nur das kaiserliche Rom als Bezugspunkt.
Anm.: Eine Einordnung fernöstlicher Weltbilder, wie z.B. des Konfuzianismus, fehlt.
Die griechische
Lebensfreude als die Quelle der Freiheit
22 Lebensfreude: Die Griechen liebten es, zu spielen: Sport, Musik, Tanz, Dichtung, Theater.
23 Die Ägypter hätten nicht gespielt: „Solon, Solon, Ihr Griechen seid alle Kinder.“
Lebensfreude und Wissen um Leid bedingt sich: Tragödien.
Der Osten kannte keine Lebensfreude, damit aber auch kein tragisches Empfinden.
24 Essen und Trinken, Beisammensein.
Erfindung der Komödie.
Symbol für Griechenland: Theater.
Symbol für Ägypten: Grabbauten.
25 Ein intelligentes und agiles Volk gehorcht nicht leicht.
Aeschylus, Die Perser: Viele Andeutungen über den Unterschied von West und Ost.
Herodot: Haben sie keinen Herrn? Sie gehorchen dem Gesetz!
Geburt der Idee der Freiheit.
29 Die Meinungsfreiheit war enorm.
Begeisterung für das
Denken an sich – Liebe zur Weisheit
25 Die Griechen gebrauchten ihren Verstand. Vor allem ihren eigenen Verstand.
28 Die Griechen waren Intellektuelle. Sie liebten die Weisheit und strebten ihr nach.
Taten in fast allen Bereichen des Denkens die ersten Schritte.
29 Alles musste untersucht, analysiert, geordnet werden.
30 Ideen, Gedanken, wurden als aufregend empfunden!
Ständige Suche nach neuem: Paulus in Athen: Was bringst Du uns neues?
Mutige Zuwendung der
Gedanken zur Welt an sich
28 Die Griechen betrachteten die Welt als erste unmagisch und fassten sie direkt ins Auge.
Indem sie dieses Abenteuer als erste mit ungewissem Ausgang wagten, bewiesen sie Mut.
Die Griechen waren die ersten Wissenschaftler.
Sie taten in fast allen Bereichen des Denkens die ersten Schritte.
Magie = Furcht = Betäubung des Denkens.
Die Griechen
kombinierten Rationalität und Spiritualität
29 Auch die Poesie musste mit Verstand untersucht werden.
30 Alles wurde mit dem Verstand betrachtet, auch die Schönheit.
31 Aristoteles: Verstand und Freude, Streben nach Unsterblichem, sei eins.
Die Griechen verbanden Rationalität und Spiritualität und sahen darin keinen Widerspruch.
32 Aristoteles: Naturgesetze zielten auf Schönheit.
Religiosität: Keine
Priestermacht – Abstrakter als üblich
26 Es gab in Griechenland keinerlei Priestermacht.
Homer: Götter und Menschen im Blick, Priester nur im Hintergrund.
Die Bannung der Priestermacht sei sehr erstaunlich.
Priester werden nie um Rat/Leitung gefragt. Sie sind nur für Ritus/Kultus zuständig.
27 Platons Gesetze: Religiöse Ermahnung vorgesehen, aber durch – den Stadtrat!
Orakel: Ihre Sprüche seien nicht priestertypisch. Keine Opfer.
Die zwei Wahlsprüche Delphis: Erkenne Dich selbst – Nichts im Übermaß.
32 Keine Dogmatisierung in der griechischen Religion.
33 Paulus in Athen: Altar des unbekannten Gottes zeigt eine völlig unübliche Religiosität.
Sokrates: Der gute Mensch sei unberührbar vom Bösen. Besondere Form der Religiosität.
Rationalität und
Spiritualität: Realitätsbezug vs. Realitätsferne
35 Spiritualität: Abwendung von der Realität.
Rationalität: Hinwendung zur Realität.
35 Beispiele: Diskussionen um fish-in-the-tank, Engel,
Buddhistische Rezitationen bis zur Aufhebung von Rationalität und Bewusstsein.
36 Emerson: Wahl zwischen Wahrheit und Ruhe. Niemals kann man beides haben.
Spirituelle Kunst ist
erstarrt, symbolisch, überfrachtet, weltfremd, unmenschlich
36 Ägypten wieder als Beispiel.
36 Spirituelle Zuwendung zur Realität etwas völlig anderes als rationale Zuwendung.
Grabkult. Pyramiden der Geist der Wüste in Granit.
37 Ägyptische Kunst durch Priester fixiert. Plato: Seit 10000 Jahren.
43 Ägyptische Tempel: Massig, unschön, überwältigend. Reduziert den Menschen auf Nichts.
38 Buddhistische Kunst:
Spirituelle Vorbereitung um Gottheit zu schauen, alles Reale als irreal zu erkennen.
Hauptmerkmal der Darstellung liegt gerade in der Nicht-Menschlichkeit, Irrealität.
37 Hindu-Kunst war frei – im Reich des Unsichtbaren.
39 Hindu-Kunst am freiesten, die Formen wollen dem Stein geradezu entfliehen.
In der Welt der Spiritualität gibt es nichts festes.
Dennoch Vorstellung an irdische Formen gebunden: Symbolik.
42 Hindu-Tempel: Besteht fast nur aus Dekoration.
40 Alle mystische Kunst ist symbolisch. Engelsflügel, Monstergottheiten, Vielarmigkeit usw.
Die Renaissance-Kunst
kam dem Vorbild bislang am nächsten
40 Italien wurde von einer Leidenschaft zu lernen ergriffen, wie seit Platons Zeiten nicht mehr.
Studium der Literatur der Antike: Entdeckung von Freiheit und Rationalität.
Kombination von Rationalität und Spiritualität.
Die Kunst der Renaissance ist dem griechischen Vorbild bislang am nächsten gekommen.
Griechische Kunst:
Realistisch, einfach, klar, menschlich
38 Methode des Polygnotus, Helena zu malen: Ging nach Kroton um schönste Frauen zu sehen.
41 Anekdote über griechischen Maler: Früchte so real gemalt, dass Vögel danach pickten.
Griechische Kunst kommt ohne alle Dekoration aus.
Hermes: Nur als ein Mann dargestellt. Geflügelte Nike sei erst spätgriechisch.
Anm.: Es gibt Gegenbeispiele gegen diese These Hamiltons, ihr Grundgedanke bleibt aber.
42 Griechen waren spirituelle Materialisten. Alles andere als Mystiker.
Athene-Statue war kein Symbol der Weisheit, sondern ihre Verkörperung, sie selbst.
Interesse an dem, was man ausdrücken will, nicht daran, wie.
Einfachheit und Klarheit wie der unumwölkte Verstand.
Delphi: Nichts im Übermaß.
Der Griechische
Tempel: Majestätisch und menschlich, einfach und schön
42 Der griechische Tempel ist das Beispiel griechischer Kunst par excellence.
Ausgeglichenheit von Rationalität und Spiritualität.
43 Einfachheit, Klarheit, Struktur. Majestätisch aber menschlich.
Landschaft in Komposition mit einbezogen. Tempel als Tüpfelchen auf dem i der Natur.
Der Mensch damit augenfällig als Herr der Welt inthronisiert.
Rationalität: Naturgesetze.
Spiritualität: Schönheit der Natur.
Sophokles Antigone: Der Wunder gibt es viele, der Wunder größtes jedoch ist der Mensch.
Vgl. Kapitel XVI: Tempel im größeren Zusammenhang der Landschaft gesehen.
Der griechische
Schreibstil wurde kaum nachgeahmt
45 Anders als Bildhauerei und Architektur wurde der griechische Schreibstil kaum nachgeahmt.
Das Griechische sei eine sehr subtile Sprache, voller fein nuancierender Worte,
die eine genaueste Bedeutungsbestimmung ermöglichten.
Anm.: Als Englischsprachige hat Hamilton folgende beiden Eigenschaften nicht erkannt:
a) Leichte Wortneubildung durch Verkettung von Worten; wie im Deutschen.
b) Sprachfluss ähnlich dem Deutschen.
Der griechische Stil
ist klar und einfach bis zur Befremdlichkeit
46 Analog zur Einfachheit, Klarheit, Schnörkellosigkeit, Direktheit in der Kunst,
ist auch das Schreiben direkt, einfach, sachlich, schnörkellos, karg.
Das befremdet, weit mehr als bei der bildenden Kunst, denn hier kennt man es schon.
Übersetzer des Griechischen fügen deshalb künstlich Schnörkel hinzu.
52 Sokrates kritisiert, ein Redner habe sich einigemale wiederholt.
Perikles: Wir lieben die Schönheit in Maßen.
Vergleich von
englischer und griechischer Literatur
47 Englisches Schreiben gleicht mehr der gotischen Kathedrale als dem griechischen Tempel.
Klarheit und Einfachheit geben Raum für die Schönheit der Dinge wie sie sind.
Blumen waren Blumen, Vögel Vögel, nichts sonst. Aber wie schön ist doch eine Blume!
48 Keats-Gedicht als seltenes Beispiel für griechischen Stil im Englischen.
49 Zitatvergleiche: Griechen sachlich schön, Engländer ausladend und dekorativ.
Hebräischer und
Griechischer Stil als Gegenpole
50 Hebräisch, d.h. AT, und Griechisch sind Gegenpole.
Bibel: Auf Gefühl gerichtet, Wiederholungen betäuben den Verstand: Orientalisch.
Die Bibel ergeht sich in ellenlangen Ausführungen.
Die Griechen packen dieselbe Aussage in eine kurze Feststellung.
Der Griechische Stil
will den Geist anstoßen, ihn in Gang setzen
53 Englisch: Ausschmückung eines Vorgangs oder Gedankens bis ins Letzte.
Griechisch: Die Sache ansprechen, andeuten, Anregung geben, aber nicht ausmalen.
Englische Methode: Den Geist mit Schönheit füllen.
Griechische Methode: Den Geist in Gang setzen.
Kapitel V –
Pindar, The Last Greek Aristocrat
Pindars Sprache ist
urgewaltig, großartig
54 Pindars Stil: Überquellendes Leben, aufschießende Fontäne, anschwellender Gebirgsbach.
55 Pindar ist am unbekanntesten, am schwierigsten zu lesen und zu übersetzen. Wie Bach-Fuge.
Metrik ist für die Griechen wichtig. Das Griechische ist musikalischer als das Englische.
56 Kipling kommt ihm noch am nächsten, er war einer der wenigen Pindar-Verehrer.
Aristokrat am Ende
der Aristokratie
57 Vertreter einer untergehenden Sache, der Aristokratie.
Exkurs: Platon und Kirche: Herrscher sollten nicht herrschen wollen. Nolo episcopari.
Aristokratisches Ideal: Tradition und Geburt bringen moralische Herrscher hervor.
58 Hohe Anforderungen an Lebensführung.
Unglücklicherweise funktioniere das aristokratische Ideal nicht.
Pindars Gedichte bringen aristokratisches Ideal in Perfektion zum Ausdruck.
59 Wie so oft: Höchste Perfektion ist zugleich Kulmination und Beginn des Abstiegs.
Lobeshymnen auf Sieger bei Spielen: Wettkampf am Rande, Heros im Zentrum.
Der Heros als Erhalter und Bestätiger der aristokratischen Tradition.
60 Pindar ist sehr selbstbewusst.
Aufforderung an Hieron von Syrakus, dem aristokratischen Ideal nachzustreben.
61 Exzellenz könne nicht gelernt werden. Ist angeboren. Adel.
Pindar gehört zu den „strengen“ Schriftstellern, kalt, niemals überschwenglich.
Blind für das Neue,
verhaftet im Alten
62 Kein Anteil an den großen Ereignissen der Zeit: Sieg über die Perser. Kein Wort davon.
Nur zwei Zeilen zum Lobe Athens als den Verteidigern Griechenlands.
63 Erkannte das Neue und Große nicht.
Aeschylus hingegen konnte das Adelsideal hinter sich lassen.
Warnung davor, zu viel erreichen zu wollen, sein zu wollen wie Gott.
Pindar häufig traurig, Phänomen gemäß Flauberts „Erfüllte Wünsche“: Zukunftslos.
64 Nur noch Verteidigung des Erreichten.
Kapitel VI – The
Athenians as Plato Saw Them
Die Athener waren
hochzivilisiert: Liebe zur Schönheit und zum Realismus
66 Zivilisation: Bestehe in Liebe zur Schönheit etc., aber nicht Technik.
Liebe zur Schönheit und Hinwendung zur Welt: Selten in Geschichte, selten bei Menschen.
Laut Perikles war Athen so eine Epoche.
65 Literarisches Gespräch unter Feldherren am Vorabend des Angriffs.
66 Sophokles überzeugte Gericht durch Rezitationen seines neuesten Werkes.
67 Spartaner verschonten Athen nach Rezitation von Versen des Euripides.
Athener kamen ohne
Lebenslügen aus – wir heute sind die Sentimentalen
67 Der Schluss von der Intellektualität auf weltfremde Träumerei ist falsch.
Wir heute sind die Sentimentalen, die Literatur als Refugium vor der Welt nutzen.
68 Kombination von Liebe zur Schönheit und Realismus erscheint uns heute seltsam.
67 Römer: Süß fürs Vaterland zu sterben, Griechen: Nein.
Die Griechen kannten keine Lebenslügen.
Leichenrede des Perikles: Kein falsches Pathos. Sachlich.
68 So gestrickte Menschen können nicht getröstet werden.
Perikles kannte sein Publikum.
Pylades in Iphigenia: Nicht nur Freundschaft sondern auch Furcht vor Ruf, den Freund
verraten zu haben, halten ihn von Verrat ab. Klar kalkuliert, ohne Skrupel.
Platon als
historische Quelle wertvoll
69 Aristophanes und Platon sagen mehr über Athener als Geschichtsschreiber wie Thukydides.
Platons Personen seien nicht unbedingt wirklich, aber sie seien wirklichkeitstreu gezeichnet.
Platons Gesellschaft:
Hochkultiviert und vielseitig entfaltet
69 Platons Gesellschaft ist hochzivilisiert, immer bereit zum gelehrten Gespräch.
70 Platons Gesellschaft lebt in Muße, jeder hat Zeit. Phädrus als Beispiel.
71 Symposion: Wohlerzogene, feine, städtische Gesellschaft.
72 Gesellschaftliche Konversation in Perfektion.
Das könne nicht innerhalb einer Generation entwickelt worden sein.
Sokrates nicht wie Kant, das Urbild des Philosophen: Zurückgezogen, weltfremd, penibel.
Nachteil der heutigen Arbeitsteilung: Das Individuum entfaltet sich einseitig.
Aischylus, Sophokles nicht nur Autoren, sondern auch Soldaten, Priester, Handwerker.
73 Beleg für Vielseitigkeit der Entfaltung: Zitat Leichenrede des Perikles.
Sokrates: Gesellig,
kultiviert, vielseitig; der perfekte Gentleman
73 Sokrates sei vor allem sehr gesellig gewesen.
Sokrates habe jemanden als engstirnig abgelehnt, weil dieser nicht gewusst habe,
wie er seine Toga zu tragen hatte.
Anm.: Theat. 175e: Es geht um Trageweise des freien Mannes, d.h. das Beispiel ist schief.
73 Teilnehmer des Symposions waren wichtige Leute und Sokrates galt unter ihnen als Bester.
74 Sokrates war trinkfest, tapferer Soldat, Held für die Jugend.
76 Intellektuell, Geschmackvoll, balanciert durch Lebendigkeit.
Anm.: Sokrates war
weniger ein Gentleman als vielmehr ein denkender Außenseiter
Sokrates kann einiges Rüstzeug eines Gentleman gehabt haben, aber sicher nicht alles.
Und was er davon hatte, hat er nicht im landläufigen Sinne eines Gentleman eingesetzt.
Sokrates war gesellig nicht durch Sympathie von gleich zu gleich, sondern als „Attraktion“.
Sokrates konnte wohl gut reden, war schlagfertig, aber er redete sicher ungekünstelt und direkt.
Sokrates durchbrach die Bahnen der Konvention formal z.B. durch Fragen, die „man“ nicht stellt.
Sokrates durchbrach die Bahnen der Konvention inhaltlich durch Infragestellung von
vermeintlichen kollektiven Gewissheiten und Kritik an angesehenen Personen.
Hamilton sagt S. 182 selbst: Sokrates hinterfragte, machte ratlos, stieß Menschen vor den Kopf.
Sokrates stößt das
Denken an, ohne zu belehren
75 Sinn der Aporie: Sokrates erledigt das Denken nicht für seine Schüler.
Beispiele: Menexenus. Kratylus.
Sokrates halte sich charmant zurück, mache nur Vorschläge.
Dies sei die Art der gelehrtesten Männer in einer zivilisierten Gesellschaft.
76 Sokrates war ein Lehrer, der nicht belehrt, sondern mit nach Antworten sucht.
Idee, dass jeder selbst nach der Wahrheit suchen muss.
Anm.: Sokrates will ja gar kein Lehrer sein. Insofern argumentiert Hamilton etwas schief.
Sonstiges Sokrates
73 Bericht des Sokrates von Aspasia: Sie habe die Leichenrede des Perikles entworfen.
75 Phädrus: Entmythologisierung, Erfindung von Mythen.
76 Sokrates interessiere sich aber nicht dafür, solange er sich nicht selbst erkannt hat.
Anm.: Unerwähnt bleibt die sophistische Bewegung als Vorlauf und Gegensatz zu Sokrates.
Anm.: Unerwähnt bleibt die platonische Utopie einer geschlossenen Gesellschaft,
die dem Ideal der Freiheit aus Lebenslust diametral entgegensteht.
Kapitel VII –
Aristophanes and the Old Comedy
Aristophanes als
Quelle seiner Zeit
77 Aristophanes spiegelt seine Zeit wie ein Comic strip.
Vitalität als die
gemeinsame Ursache für Meinungsfreiheit, Bildung und Derbheit
78 Sublimes und Lächerliches liegen eng beieinander.
82 Die Stücke setzen ein gebildetes Publikum sowie die Kenntnis anderer Stücke voraus.
79 Auch kleine Leute werden verrissen.
80 Agathon wird verrissen.
81 Sokrates wird verrissen.
82 Jugendpassage: Sohn verlacht alte Stücke, schlägt den Vater, verehrt Euripides.
83 These: Gauner werden reich und glücklich.
77 Diskrepanz Förmlichkeit bei Platon – Derbheit bei Aristophanes.
78 Meinungsfreiheit in Athen „umwerfend“ gegenüber unseren heutigen Vorstellungen.
96 Meinungsfreiheit grenzenlos. Derbheit zugleich.
97 Ursache: Vitalität.
Unanständiges wird klar ausgesprochen, es gibt keine vorgehaltene Hand.
Analogien zur
englischen Literatur, Gilbert
77 Analogie Athen und England des 16. Jhdt., „Zeitgeist“.
84 Vergleich viktorianischer Autor Gilbert zu Aristophanes.
Alte Tradition, die eigene Zeit für besonders schlimm zu halten.
86 Nostalgie über alte Zeiten verlacht.
88 Parodie des gelehrten Diskurses.
87 Volkes aufgebauschter Furor erlischt vor kleinem Risiko.
91 Militär verrissen.
92 Politiker verrissen.
94 Frauen verrissen.
Kapitel VIII –
Herodotus, the First Sight-Seer
Die Griechen begannen
als erste, die Sklaverei infrage zu stellen
98 Frage aus heutiger Sicht: Welche Idee der Freiheit hatten die Sklaven haltenden Griechen?
Schon immer gab es Sklaven, überall gab es Sklaven, der way of life beruhte auf Sklaven.
Sklaverei wurde damals als eine Naturnotwendigkeit gesehen.
99 Nie hatten bis dahin auch die freiesten Geister die Idee gehabt, ohne Sklaven zu leben.
Das besondere ist nicht, dass die Griechen Sklaven hatten, sondern,
dass sie damit begannen, über Sklaverei nachzudenken und sie infrage zu stellen.
100 Durch alle alten und fast alle modernen Zeiten hindurch waren die Griechen darin allein.
99 Euripides als erster, seiner Zeit voraus: „Sklaverei ihrer Natur nach ein Übel“.
Platon habe eine Generation später Sklaverei verteidigt,
äußerte aber unterschwellige Bedenken: „Ein Sklave ist ein verwirrender Besitz“.
Anm.: Die Quellenangabe zum Zitat scheint falsch zu sein.
Platon habe Sklaven in seinem Idealstaat nicht zugelassen.
Aristoteles nannte Sklaven kalt und provokant „beseeltes Besitztum“, erwähnt aber auch
„Leute, die den Besitz von Sklaven als Verletzung des Naturrechts ansehen.“
100 Einige Jahre nach Aristoteles verurteilten die Stoiker Sklaverei als eines der größten Übel,
das Menschen jemals Menschen angetan hätten.
Nach dem Sieg über
die Perser hatten die Griechen Muße
100 Nach dem Sieg über Persien hatten die Griechen Muße.
Muße bedeutete tätige Freizeit, Vitalität: Reisen, forschen, nachdenken, diskutieren.
Herodot ist ein
Musterbeispiel für den griechischen Drang, herauszufinden
100 Sokrates: Staunen als Anfang der Weisheit. Herodot staunt an einem fort.
Herodot sei geistig ein Athener, der aus Neugier und Vitalität reiste.
101 Herodots Welthorizont.
Herodot ist ein exemplarisches Beispiel für den Drang zur Untersuchung und Prüfung,
für die Leidenschaft, etwas herauszufinden.
102 Zwar wird Herodot „Vater der Geschichte“ genannt,
aber tatsächlich berührte er auch viele andere Wissenschaften:
Geographie, Archäologie, Anthropologie, Soziologie – Menschen und Orte.
Der Stil Herodots ist
menschlich und klar
102 Herodot habe die Menschheit geliebt.
Seine großen Helden sind menschlich, seine kleinen Leute nie ganz klein.
103 Herodot nimmt seine Leser mit auf Erkundungsreise.
Seine Sprache ist einfach, direkt, klar.
Dionysios von Halikarnassos:
Herodot habe erster gezeigt, dass Prosa der Poesie gleichkommen kann.
Herodot ist religiös
skeptisch
101 Herodot stellt Homers und Hesiods Weltbild infrage. Mit einem Schmunzeln ;-)
Bericht über wiederholte Korruption im Orakel von Delphi.
104 Herodot legt sich religiös nicht fest:
Sturm sei durch Beschwörung besänftigt worden – oder habe sich einfach von selbst gelegt.
Erdbeben: Viele glaubten sie seien das Werk des Neptun.
Über Götter hätten die Griechen „bis gestern“ nichts gewusst.
Erst Homer und Hesiod hätten sie ihnen bekannt gemacht und benannt.
Was Herodot über die Götter dachte, sei schwer zu sagen.
Herodot wurde geboren in tiefreligiöser Tradition,
und wuchs hinein in den Skeptizismus der perikleischen Zeit.
Zur Glaubwürdigkeit
Herodots
102 Herodot war so frei von Vorurteilen, wie man nur sein kann.
Kein fremdenfeindlicher Anti-Barbarendünkel. Er schätzte Perser, selbst Skythen.
Jeder will nach seinen Gewohnheiten leben. Anekdote aus Historien.
103 Vorwurf, Herodot sei leichtgläubig gewesen, ist falsch, im Gegenteil:
Herodot ist skeptisch, ein geborener Forscher. Historie = Nachforschung.
„Meine Pflicht ist es, alles zu berichten, ..., aber ich bin nicht verpflichtet, alles zu glauben.“
Verantwortung des Berichterstatters. Sorge, Beweise zu wägen.
Die Quellen der Intuition, nach denen Herodot Glaubwürdigkeit abschätzte,
sind von heute aus nicht mehr rekonstruierbar.
Daraus entsteht ein falscher Anschein von Unglaubwürdigkeit aus heutiger Sicht.
Die Historien
entfalten den Gegensatz zwischen West und Ost
105 Die ersten zwei Drittel der Historien als Entfaltung der Bühne, auf der sich das Drama der
Perserkriege abspielt. Freiheit gegen Tyrannei, West gegen Ost.
Großkönig als Personifikation des Orients. Griechenland als felsig und arm.
Der Kontrast von Ost und West wird von Herodot nicht überzeichnet,
er kommt von selbst immer wieder deutlich zum Ausdruck.
Griechische Götter beobachteten Gerechtigkeit und Freundlichkeit der Menschen.
106 Wert des Individuums begann sich Bahn zu brechen, keine Kollektivschuld.
Herodot: Ein Volk, das über sich selbst herrscht, täte nicht, was Tyrannen tun.
Der Osten als Inbegriff der Tyrannei, jeder Untertan ein williger Sklave des Despoten.
Perserkriege als
metaphysischer Kampf zwischen West und Ost / Freiheit und Despotie
107 Kampf nicht so sehr zwischen Menschen, sondern zwischen geistigen Kräften.
Niederbrennung von Sardeis. Reaktion des Großkönigs: „Herr, gedenke der Athener“.
Marathon: Athen fast ganz auf sich allein gestellt.
98 Großer Freiheitskampf freier Männer gegen einen Tyrannen und seine Armee von Sklaven.
108 Der Geist der Freiheit habe die schiere Zahl feindlicher Sklaven besiegt.
Verlorener Kriegszug des Xerxes als unausweichliches Schicksal der Arroganz der Macht.
Verfinsterung der Sonne am Beginn des persischen Marsches auf Griechenland.
109 Thermopylai.
110 Salamis. Mauern aus Holz. Themistokles.
Athen bestand nicht auf Oberbefehl, sondern ordnete sich im Interesse der Sache unter.
Hamilton: Das war der größte Moment in der athenischen Geschichte.
Vor Salamis ermahnten die Befehlshaber ihre Männer, an die Freiheit zu denken.
111 Aeschylus: Freiheit als Schlachtruf bei Salamis.
Kapitel IX –
Thucydides, The Thing That Hath Been is That Which Shall Be
Thukydides
identifizierte Grundmuster der Geschichte als Warnung
112 Wissen um des Wissens willen hatte keine Anziehungskraft für Athener.
Sie waren Realisten und interessierten sich für einen Bezug des Wissens zum Leben.
Thukydides sah in der Geschichte wiederholbare Grundmuster, vor denen er warnte.
113 Da die menschliche Natur sich nicht ändere, würden die Dinge wieder geschehen.
Thukydides schrieb sein Buch „nicht für den Moment, sondern für alle Zeiten.“
Thukydides hatte Muße, weil er als glückloser Befehlshaber ins Exil geschickt wurde.
Sein Blick ist ruhig, frei von Bitterkeit, neutral, von unparteiischer Kälte.
Thukydides sah den Konflikt sub specie aeternitatis und wahrte gerade auch so Distanz.
114 Seine Geschichte des Peloponnesischen Krieges ist ein Buch über den Krieg allgemein.
Macht führt zu Gier
und damit stets zum eigenen Untergang
114 Gier als letzte Ursache für den Krieg tief unter der Oberfläche.
Macht bzw. Wohlstand bringt den Wunsch nach mehr Macht und Wohlstand hervor.
Weil sie mächtig waren, seien Athen und Sparta gezwungen gewesen, Krieg zu führen.
Macht, ob demokratische oder oligarchische, ist übel, und korrumpiert den Menschen.
Polybius: Geschichte als Kreislauf, durch ausschweifende Macht in Gang gehalten.
Despotie – Oligarchie – Demokratie – Tyrannei – usw.
115 Athens Macht war zu groß und musste unausweichlich in Missbrauch und Untergang führen.
Solon: Machtvolle Menschen wollen mehr Macht, ziehen die Stadt nieder.
Dekadenz des
athenischen Geistes hin zu Egoismus und Zynismus
116 Großartiger geistiger Aufbruch nach Sieg über die Perser, wahrer Geist der Freiheit.
117 Damals war Athen mitleidende Verteidigerin der Schwachen, Feindin der Unterdrücker.
Perikles: Nicht Freiheit als Motiv, sondern Furcht vor Verlust des Imperiums. Athen gehasst.
Macht korrumpierte: Freies Seebündnis wandelte sich zum athenischen Imperium.
118 Eine metaphysische Lohn- und Straferwartung, der Glaube an ausgleichende Gerechtigkeit,
wie er durch den Sieg über die Perser genährt worden war,
waren als moralische Antriebe in Fortfall geraten.
Junge Leute sahen alte Stücke, verstanden sie im Kern aber nicht mehr.
119 Thukydides' Perikles bringt den Geist des kurzsichtigen Egoismus klar zum Ausdruck.
120 Athens Staatsidee: Versammlung von Freien, Freiheit begrenzt durch Selbstkontrolle.
Die athenische Demokratie scheiterte und wurde imperial.
122 Desintegration eines großen Volkes an zwei Anekdoten verdeutlicht:
Zu Beginn des Krieges: Reue über den Befehl zum Völkermord und eiligste Nachsendung
eines Schiffes, um die Ausführung des Befehls zu verhindern.
Sieben Jahre später: Völkermord von Melos. Gerechtigkeit gäbe es nur unter Gleichen.
Freundschaft sah man jetzt als ein Zeichen von Schwäche. Hass als ein Zeichen von Stärke.
123 Das Böse wurde als das Gute angesehen, die Bedeutung von Worten wandelte sich:
Laster galten als Tugenden, Betrug als Schlauheit, Rücksichtslosigkeit als Mut.
„Praktischer“ Geist. Anm.: Also falscher „Realismus“, d.h. Egoismus und Zynismus.
Guter Wille wurde verlacht und verschwand aus der Öffentlichkeit. Jeder misstraute jedem.
Das Ende Athens, herbeigeführt durch korrumpierende Macht, war besiegelt.
115 Als Ergebnis des Krieges gingen Griechenlands Errungenschaften für Jahrhunderte verloren.
Sonstiges:
Spartanischer Geist, Sizilische Expedition
119 Krieg war in Athen als notwendiges Übel angesehen.
Spartaner sahen Krieg sentimental, als edelste Form menschlicher Aktivität.
120 Spartaner als Rädchen einer gut funktionierenden Maschine. Plutarch: Wie Bienen.
120 Die Schwäche der athenischen Demokratie lag in den wechselnden Politikern.
Alkibiades: Sizilische Expedition gut geplant, von anderen schlechtest ausgeführt.
Xenophon war ein
konsumierender Gentleman, der die Welt unproblematisch sah
125 Xenophons Welt: Gefällig, schön. Jagdliebhaber. Gegensatz zum Zeitgenossen Thukydides.
126 Symposion des Xenophon: Geringeres Niveau, derberer Spaß. Dennoch sympathisch.
127 Anekdote aus Xenophons Athen: Eifriger Ehemann, züchtige Hausfrau, Familienidyll.
128 Thukydides – ewige Wahrheiten. Traurig.
Xenophon – Leben an sich. Freudig. Beides ist in seinem Sinne wahr.
129 Xenophon und seine Welt: Athenische Gentlemen unter sich.
Gebildet, wohlerzogen, vielseitig. Nicht kreativ, suchend wie Platon.
Xenophons Sokrates ist demgemäß ganz anders als Platons Sokrates.
Anm.: Xenophon ist also eher der konsumierende Gentleman, sein Sokrates trägt schon fast
sophistische Züge. Genau diese allzu sonnige Haltung passt aber zu der Dekadenz, die Thukydides
beschrieb.
Aristokratische
Gesinnung, Vision einer institutionalisierten Konfliktlösung
130 Xenophon war kein Demokrat, sondern Adliger. Er liebte Sparta und mißtraute Athen.
Trotz seines urdemokratischen Verhaltens als Anführer der Zehntausend blieb er dabei.
Xenophon entwickelte die Vision von Diplomatie statt Krieg als Weg der Konfliktlösung.
Er schlug Delphi als Ort vor, wo sich die Nationen treffen könnten, um zu verhandeln.
Freiwillige Unterwerfung unter den Besseren sie die einzig sichere Eroberungsweise.
Der Zug der
Zehntausend
131 Das Söldnerheer der Zehntausend war aus Griechen aller Städte bunt zusammengewürfelt.
135 Kyrus habe griechisches Führungsideal gehabt: Freiwilliger Gehorsam vor dem Besseren.
132 Kunaxa: Die Zehntausend entschieden die Schlacht für Kyrus, der jedoch fiel.
Die hunderttausend persischen Soldaten des Kyrus liefen auseinander.
Die Befehlshaber der Zehntausend wurden hinterhältig ermordet.
Die somit enthauptete Armee war jedoch eine Armee aus Griechen.
133 Xenophon, der Zivilist, überzeugte die Unteroffiziere, die ihn zum Anführer wählten.
Rede vor den Zehntausend: Die persische Mordtat hat uns alle in Generäle verwandelt.
134 Umstände erforderten intelligente Lösungen für völlig ungewohnte militärische Probleme.
135 Beispiele für kreative Anpassung an die Lage.
134 Die Disziplin der Zehntausend beruhte ganz auf freiwilliger Fügung in die Notwendigkeit.
Vergleich zu den Pionieren des Wilden Westens: Sie gehorchten den kundigen Scouts.
Jedes Problem wurde in der Heeresversammlung diskutiert und entschieden.
Verfehlungen wurden von der ganzen Heeresversammlung abgeurteilt. Auch Xenophon.
136 Thalassa! Das Meer war für die Griechen Heimat.
Der Zug der
Zehntausend als das griechische Ideal en miniature
130 Anabasis das größte Werk Xenophons. Klares Bild des griechischen Individualismus.
131 Sitte, alles selbst zu entscheiden. Vertrauen in den Einzelnen. Keine Bevormundung.
Selbst Spartaner wandten sich gegen unfähige Befehlshaber und handelten selbständig.
136 Der Zug der Zehntausend zeigte das griechische Wunder en miniature.
Balance zwischen
privatem und öffentlichem Leben
136 Der Athener war sehr individualistisch, zugleich aber auch seinem Staat verpflichtet.
Platon: Wahre moralische Entwicklung gebe es nur im Dienst am Staat.
Der Athener war bewahrt davor, sein Leben als Privatsache zu betrachten.
137 Wort „Idiot“: Wer nur sein privates Leben leben will.
Perikles: Balance zwischen Individualismus und öffentlicher Selbstverpflichtung.
Natürlich galt das nur für eine kurze Periode und war unvollkommen.
Es war aber die Begründung des griechischen Ideals.
Vgl. Kapitel XV: Theater als religiös-weltanschaulich überhöhendes Gemeinschaftserlebnis
Die Geburt der
Tragödie aus dem griechischen Geist der Freiheit
138 Die Griechen brachten die Tragödie hervor und führten sie zugleich zu höchster Höhe.
Aeschylus, Sophokles, Euripides sind zusammen mit Shakespeare die größten Tragöden.
In der Tragödie entüllt sich der griechische Geist am Tiefsten.
Die Tragödie entstand in Griechenland, weil die Griechen frei dachten und forschten.
Sie erkannten, dass Verhängnis und Unrecht unerklärlich in der Natur der Dinge lagen.
Diese Wahrheit poetisch als Schönheit zelebriert führt zur Geburt der Tragödie.
Die Tragödie beruht
auf der höheren Leidensfähigkeit des Menschen
139 Tragödie ist nichts anderes als Schmerz, erhöht durch Poesie.
Nichts ist merkwürdiger als eine Tragödie: Schmerz, aufgeladen mit Freude.
141 Würde des Menschen, Bedeutung des menschlichen Lebens sind die Fragen der Tragödie.
Antwort der Tragiker: Es ist die größere Fähigkeit zu leiden, die uns über die Tiere erhebt.
142 Die Tragödie beschäftigt sich mit unserem höheren Leiden.
Die Würde des Menschen hinge vom Grad der Leidensfähigkeit ab.
Das Essentielle an einer Tragödie ist eine tief empfindende Seele.
Tragik: Mitten im
Weltschmerz entsteht freudiger Trost durch Begreifen der Affirmation
zur Fügung ins
Unvermeidliche als etwas - meist überpersönlich - Sinnhaftes
140 Aristoteles: Reinigung des Gefühls.
Hegel: Versöhnung. Tragische Situation in Harmonie der Ewigkeit aufgehoben.
Schopenhauer: Akzeptanz. „Dein Wille geschehe“.
Nietzsche: Zustimmung des Willens, im Angesicht des Todes zu leben.
Der einzige Versuch, die Ursache der tragischen Freude zu definieren,
stammt von Hegel, und er ist unvollkommen.
Definition müsste ganz gegensätzliche Charaktere, Schuldige und Unschuldige, umfassen.
143 Schmerz wird tragisch erhöht, wenn der Mensch einen überpersönlichen Sinn erkennt.
139 Englischer Sprachgebrauch: Tragik immer „in Höhe“ verortet.
Vergleiche zur
anderen Literaturen
139 Die ganze Philosophie der menschlichen Natur sei implizit in der Sprache enthalten.
140 Vergleich: Perikleisches Athen und Elisabethanisches England.
Dies seien die beiden großen Perioden der Tragödie in der Weltgeschichte gewesen.
141 In beiden Epochen lebte man auf der Welle von Wohlstand und Erfolgen.
In Zeiten der Depression entstehen keine Tragödien.
143 Tragik muss nicht romantisch sein, sie kann sehr wohl realistisch sein.
Russische Literatur: Realistisch und poetisch, deshalb tragisch.
Französische Literatur: Realistisch, aber nicht poetisch, deshalb auch nicht tragisch.
Anmerkungen
Übersetzung
Hamiltons Wortwahl „pleasure“ für die Freude im Schmerz ist fragwürdig. Besser scheint mir „freudiger Trost“. Es ist ja keine ungetrübte Freude im Hinblick auf ein happy end, sondern die Überzeugung, dass trotz Fehlens des happy ends die Entscheidung, sich ins Unvermeidliche zu fügen, Sinn macht.
Auch ist die Verwendung des Begriffs „evil“ unpassend. Es geht nicht um das Böse selbst, sondern um das schleichende Verhängnis, das aus dem Bösen geboren wird.
Hamiltons Definition des höheren Schmerzes ist unklar. Gemeint ist natürlich der Weltschmerz.
Darüber hinaus existiert aber noch eine höhere Stufe des Schmerzes: Der Weltbildschmerz. Dieser besteht in fundamentaler Desorientierung und wird von den Griechen noch nicht thematisiert. Ihr Weltschmerz verursachendes Verhängnis findet in einem festen Weltbildrahmen aus Göttern und Welt statt.
Kapitel XII –
Aeschylus, The First Dramatist
Aeschylus erfand die
Tragödie vor dem Hintergrund des Sieges über die Perser
145 Aeschylus ist der Erfinder der Tragödie.
Aeschylus war Kämpfer bei Marathon, sein Geist soldatisch. Wenig biographisches bekannt.
146 Nur sieben von 90 Stücken sind erhalten.
147 Geburt der Tragödie vor dem Hintergrund des Sieges über die Perser.
Der Sieg brachte geistigen Aufschwung, heroische Taten waren Gegenwart geworden.
Gefahr, Schrecken und Schmerz hatten Bewusstsein und Einsicht geschärft.
152 Vor Aeschylus gab es nur Chor und Chorführer.
Aeschylus fügte eine zweite Person hinzu und schuf so das dramatische Element.
Er entwarf selbst Kostüme, Bühnenbilder, Bühnenmaschinerie.
Aeschylus legte die Grundzüge des attischen Theaters.
Anm.: Es ist ein Versäumnis, Homer nicht als einen der geistigen Väter der Tragödie benannt zu haben,
vgl. z.B. der Zorn des Achilleus oder Odysseus, der um die eigene Seele rang.
Als Schöpfer der Tragödie gilt gemeinhin nicht Aeschylus, sondern Thespis,
der als Einzelsprecher dem Chor gegenübertrat. Aeschylus kann allerdings mit Recht als Schöpfer
der "großen" Tragödie gelten.
Bei Aeschylus ist das
tragische Moment am intensivsten gefasst
145 Kein anderer Tragöde zeige Lebenswillen im Schmerz so stark wie er.
147 Aeschylus verband die äußere Schönheit mit der Schönheit des Schmerzes.
Er kannte das menschliche Leben und seine Leidensgebundenheit.wie kein anderer.
Ebenso die Fähigkeit, eine äußere Niederlage als einen Sieg zu empfinden.
Aeschylus zeichnete den Kontrast von Leiden und Größe am deutlichsten.
Große Geister begegnen dem Unglück groß.
156 Selten wurde Aeschylus erreicht, nie übertroffen.
Vergleich von
Aeschylus' Stil mit Shakespeares Macbeth
149 Aeschylus schrieb gewaltig, nicht glatt, mit Feuer, nicht ausgesucht.
Shakespeares Macbeth direkt mit Aeschylus' Agamemnon verglichen.
Das Verhängnis schleicht im Dunkeln immer näher, Terror der Vorahnung.
151 Beide Tragöden haben – als einzige – Humor.
Sokrates: Die Fähigkeit, Komödien oder Tragödien zu schreiben, sei ein- und dieselbe.
152 Aeschylus beging handwerkliche Fehler, konnte in Nebensachen auch schlecht schreiben.
Das zentrale dramatische Moment jedoch formte er unübertroffen.
Aeschylus war ein
selbständiger Denker
154 Aeschylus nahm dem Krieg die Gloriole und erkannte die Verbindung von Geld und Krieg.
155 Selbständiger Denker: „Ich habe meine eigene Meinung und denke getrennt von anderen“.
Er bestritt das zentrale Dogma: Wohlstand erwecke den Neid der Götter und führt zum Fall
In Wahrheit führe nicht Wohlstand sondern Verfehlung zum Fall.
156 Aeschylus war ein einsamer Denker, als er begann. „Ich allein glaube das nicht.“
Lösung der Theodizee
durch die Tragödie: Einsicht in Fügung durch Leiden
155 Aeschylus' Götter verweisen auf einen letzten Schöpfergott.
Theodizee: Wie können die Menschen leiden und Gott doch gerecht sein?
156 Die Antwort aller Zeiten, die anfängliches Denken befriedigt, befriedigte ihn nicht:
Das Fortwirken der Verfehlungen der Vorväter in nachkommenden Generationen.
Jüdischer Zeitgenosse Ezechiel befriedigte sich mit blinder Fügung in Gottes Willen.
Aeschylus wusste, dass die Verfehlungen der Vorväter kommende Generationen verfolgen,
und glaubte zugleich auch an die Gerechtigkeit des Gottes.
Ausweg des Aeschylus: Schmerz und Schrecken haben Zweck und Nutzen:
Sie sind Stufen auf der Leiter zur Erkenntnis.
Gottes Gesetz: Wer lernen will muss leiden. Weisheit durch die grauenhafte Gnade Gottes.
Anm.: Gemeint ist wohl die Einsicht darin, dass die Bejahung der Fügung ins Unvermeidliche einen
– meist überpersönlichen – Sinn hat. Also nicht irgendein Wissen, sondern „Weisheit“, wie Edith
Hamilton es nennt. Damit ist die Fügung „sehend“, nicht blind.
Kompromissloser
Tragiker, der innere Stärke dem Äußeren entgegensetzte
157 Schopenhauer: Tragische Freude ist letztlich eine Sache der Akzeptanz. Aktive Akzeptanz!
Das Schicksal mag sein wie es will, die Menschen können sich mit dem Guten verbünden
in ihrem Leiden und Sterben, und so edel leiden und sterben.
158 Der Starke vermag stets das Ewige und das Vergängliche zu unterscheiden.
Äußere Umstände sind machtlos über die innere Zitadelle eines Jeden.
Dort herrschen wir selbst, leben als freie Menschen, ohne die Humanität zu verraten.
Ajax: Ein Mann kann stets edel leben oder edel sterben.
Chor bei Antigone: Sie stirbt als „Herrin ihres eigenen Schicksals.“
Sophokles empfand das Leben als hart, er konnte es aber auch hart tragen.
159 Sophokles gestattet keine Ausflüchte, außer der Akzeptanz aus Stärke.
161 Sophokles ist warm, aber leidenschaftslos.
Sophokles als
Inbegriff des Griechischen: Ordnung
159 Sophokles' Gottesbegriff definiert sich bei ihm vor allem durch den Begriff des Gesetzes.
160 Statt Freiheit wie Aeschylus benutzt er den Begriff Gesetz.
Athen als die Stadt mit der perfekten Gottesfurcht in gerechten Gesetzen.
Er liebt die Ordnung, gerechte Harmonie, Nüchternheit.
Freiheit scheint ihm ungeordnet und maßlos vorgekommen zu sein.
Das ist typisch griechisch: Unordnung, Unklarheit hat stets einen negativen Unterton an sich.
Sophokles ist so sehr die Verkörperung des Griechischen, dass er zum Maßstab wurde.
Direkt, klar, einfach, vernünftig. Übermaß ist ihm fremd. Zurückhaltung als Wesenszug.
Schönheit liegt bei ihm nicht in Farbe oder Schmuck, sondern in Struktur, Linie, Proportion.
Also nicht in einem Geheimnis, sondern in klarer Wahrhaftigkeit.
161 Selbst Aristophanes zeichnet ihn als ruhigen Gentleman,
im Gegensatz zu Aeschylus und Euripides.
Vergleich von Sophokles
mit Aeschylus: Feiner vs. Tiefer
157 Sophokles ist im Unterschied zu Aeschylus feiner, weniger heroisch.
Ursache: Der Geist von Marathon verblasste, Athen verriet die eigenen Ideale.
159 Gedanken über Weltschmerz sind häufig nahe am blutleeren Gemeinplatz.
Das Wunder ist, dass Aeschylus solche Lebensweisheiten (morals) nicht formulierte.
160 Statt Freiheit wie Aeschylus benutzt Sophokles den Begriff Gesetz.
Freiheit scheint ihm ungeordnet und maßlos vorgekommen zu sein.
161 Aristophanes zeichnet ihn als ruhigen Gentleman im Gegensatz zu Aeschylus und Euripides.
Sophokles' Stücke waren am populärsten, weil sie menschliche Wärme ausstrahlten.
Dieser Aspekt fehlt bei Aeschylus völlig.
163 Sophokles ist noch größer als Dichter denn als Dramatiker.
In Tricks und Techniken des Theaters war Sophokles der bessere.
164 Sophokles: Gedanken, die zu groß für den Menschen sind,
sollten von Menschen nicht ausgesprochen werden.
Sophokles hatte den sicheren Instinkt des verfeinerten Künstlers:
Was zu groß war, um es auszuführen, versuchte er nicht.
Die Leidenschaft, die für höchste Dramatik nötig ist, hatte er nicht.
Sophokles kommt damit nicht an Aeschylus und Shakespeare heran.
Vergleich von
Sophokles mit Milton
162 Milton sah die Hoffnungen der Epoche Cromwells kommen und gehen.
Milton ist der am wenigsten im Ausland gelesene englische Dichter.
Shakespeare sei im Vergleich dazu fast genauso deutsch wie er englisch ist.
Milton und Sophokles sind die großen Stilisten.
An manchen Stellen ist Milton so klar, einfach und direkt wie Sophokles.
163 Milton war allerdings kein Dramatiker. Gedanke, nicht Handlung war sein Gebiet.
Singulärer Meister
des Mitgefühls, Verteidiger des Wertes jedes Menschen
165 Euripides ist der traurigste aller Tragiker und eben deshalb am wenigsten tragisch.
Dichter des Weltschmerzes.
168 Schmerz wird literarisch einzig gezeichnet, auch wenn die tragische Erhöhung fehlt.
165 Niemand lauschte der leisen, traurigen Musik der Menschlichkeit wie er.
Niemand hat ein solches Empfinden vom Wert jedes einzelnen Menschen.
Er als einziger in der klassischen Welt empfand so.
168 Er sah auf die schmutzigen Seiten des Krieges, Stück Die Troerinnen.
Ein dummer, unwissender Bauer wird einer Prinzessin an Adel gleichgesetzt.
Platon hätte das nicht getan.
Sklaven sind bei Euripides Menschen unter Menschen.
„Ein Mensch ohne Furcht kann kein Sklave sein.“
Der Geist der mitfühlenden Liebe ist stärker als bei seinen beiden Vorgängern.
Der moderne Geist: Fundamentale,
rebellische Kritik
165 Euripides erscheint modernen Lesern immer wieder unwillkürlich vertraut.
166 Euripides ist der Ausdruck der Avantgarde, das Empfinden, seiner Zeit voraus zu sein.
Die modernen Geister jeder Generation sind die Kritiker, die vor Erstarrung bewahren.
Aber keine Kritik die zeitlos resigniert, oder Zeitkritik ohne Ewigkeitsbezug (Voltaire).
Sie sehen das Leiden des Einzelnen vor dem Hintergrund des Menschheitsdramas.
Sie sind absorbiert davon und lassen nichts Gutes gelten.
Ungerechtigkeit steht im Zentrum der Kritik.
167 Es sind Kämpfer, Rebellen, die die Hoffnung nicht aufgeben.
Jesaja im AT als weiteres Beispiel.
169 Sie empfinden Unrecht, wo es selbst heute kaum empfunden wird.
Anm.: Euripides
betrieb eher sozialpolitische Propaganda statt Tragik
Die Ursache für Tragik wird hier also weniger im ewig waltenden Schicksal gesehen, wie es unausweichlich sich ereignet, sondern vor allem darin, dass konkrete Menschen immer wieder die individuelle Entscheidung treffen, dem ewigen Drang zum Unrecht zu folgen, und damit individuelle Schuld auf sich laden. Nicht zufällig steht bei Euripides die Ungerechtigkeit als Ursache des Schmerzes im Zentrum. Damit wird die Tragik als im Prinzip vermeidbar und damit im immer neuen Einzelfall auch als bekämpfbar angesehen. Ein umfassenderer Blick auch für Ursachen der Tragik, die nicht bekämpfbar sind, für die Idee des Verhängnisses, geht dabei verloren, ja, es geht damit das eigentliche tragische Moment verloren. Denn der Blick konzentriert sich nicht mehr auf das freudig getröstete Tragen der Tragik, was ja das eigentliche tragische Moment ist, sondern auf die Anklage gegen das Böse angesichts des Leidens. Das ist keine Tragik, sondern – vielleicht legitime – sozialpolitische Propaganda.
Euripides verwarf die
überlieferte Religion angesichts des Übels
168 Euripides attackierte die Religion direkt.
171 Er zeigt die Ungöttlichkeit der olympischen Götter und postuliert eine andere Göttlichkeit.
„Wenn Götter böses tun, so gibt es keine Götter“.
Vergleich Aeschylus,
Sophokles: Traurigkeit statt Tragik bzw. Fundamentalrebell
170 Aeschylus war ein fragender, suchender Geist.
Aber niemals hätte er das menschliche Leben zuerst und vor allem derart schwarz gesehen.
Aeschylus glich Tragik zudem mit Größe aus, was ja eigentlicher Gehalt der Tragik ist.
Sophokles starb zwar kurz nach Euripides, aber er gehörte einer früheren Generation an.
Sophokles fragte Fragen nicht, die niemand beantworten konnte.
171 Euripides konnte den Schmerz nicht tragen, wie es dem tragischen Gedanken entspräche.
Biographisches:
Ungeliebter, unbequemer, unverstandener Menschenfeind
168 Euripides sah Athen im Peloponnesischen Krieg siegen und niedergehen.
171 Euripides sei ein freudloser Mensch gewesen, ungesellig, verschlossen in seiner Bibliothek.
Ein Menschenfeind, der die Bücher den Menschen vorzog.
Er floh die Menschen, gerade weil er zu sehr mitfühlte.
Er konnte den Schmerz nicht tragen, wie es dem tragischen Gedanken entspräche.
Euripides erzielte nur wenige Preise, Aristophanes spottet übel über ihn.
172 Der moderne Geist ist niemals populär in seinen eigenen Tagen.
Die Leute hassen es, zum Denken angeregt zu werden, vor allem über fundamentale Fragen.
Erst nach seinem Tode schwang das Pendel seiner Beliebtheit zur anderen Seite.
Die Unorthodoxie der einen Generation ist die Orthodoxie der nächsten.
Seine Verehrer sahen sich durch sein Mitgefühl angesprochen, ignorierten aber seine Kritik.
Kapitel XV – The
Religion of the Greeks
Vgl. Kapitel II: Religiosität: Keine Priestermacht – Abstrakter als üblich.
Die Religiosität der
Griechen wird häufig unterschätzt und übersehen
173 Griechische Religiosität wird oft als uninteressant oder gar minderwertig angesehen.
Ursache ist die Verwechslung von Mythologie mit Religion.
Homers olympische Götter sind alles andere als erbaulich, sie zu glauben wäre naiv.
Schopenhauer: Griechische Religion „einzigartiger Aufschwung zur Erhebung“.
Sie sei ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Religion der Liebe gewesen,
die auch heute noch fern scheint:
Der einzelne opfert sich für das Gute im Geist der Liebe mit Gott, der die Liebe ist.
Selbständiges
Forschen ohne Autoritäten, Formung durch Dichter, Künstler etc.
174 Nicht Priester, Propheten oder Heilige erbauten die griechische Religion.
Vielmehr Dichter, Künstler und Philosophen.
Also Menschen, die dem Geist Freiheit lassen und praktisch orientiert waren.
Es gab keine heilige Schrift, kein Glaubensbekenntnis, keine Zehn Gebote, keine Dogmen.
Die Idee der Orthodoxie an sich war den Griechen völlig unbekannt.
Es gab keine Theologen, die Definitionen festlegten.
Statt in Definitionen wurde die Religion in Ausdruck und Andeutung dargelegt.
Hl. Paulus ganz griechisch: Das Unsichtbare müsse durch das Sichtbare erklärt werden.
Besonders die bildende Kunst brachte die Religion zum Ausdruck. Zeus des Phidias.
Oder die Dichtung. Aeschylus: Gottes Wege unergründlich, aber perfekt.
175 Sokrates: Suche nach der Realität, die letztlich Gott sei.
Den Urheber von allem zu finden sei schwer, unmöglich ihn auszusprechen.
Eine Religion, die sich auf das selbständige Forschen gründet, sah anders aus als andere.
Es gab keine herrschende Kirche oder Glaubensbekenntnis.
Die Areté als das
einzig herrschende Ideal
175 Es gab ein herrschendes Ideal, das jeder verschieden sah: Excellence. Areté. Tugend.
Überzeugung, dass, wer das Höchste erkennt, es zwangsläufig auch lieben muss.
Sokrates: Niemand ist willentlich vom Guten getrennt.
Hesiod: Vor die Tugend haben die Götter den Schweiß gesetzt.
Homer prägte die
Griechen: Rational, furchtlos, menschliche Götter
175 Schon bei Homer fehlen die primitiven Riten anderer Völker und Magie völlig.
176 Magie spielte als einziger Schutz gegen böse Mächte bis dahin eine große Rolle.
Ein magisches Universum ist so erschreckend, weil es unkalkulierbar, irrational ist.
Der menschliche Geist war gefangen in Furcht.
Die Griechen hatten diese Welt voller Furcht in eine Welt voller Schönheit verwandelt.
Wir hätten nicht die geringste Idee, wann oder warum dies genau geschah.
Griechische Götter sind menschlich, das unmenschliche gilt nicht mehr als göttlich.
Anaxagoras: Alles war in Chaos, bis der Verstand kam und Ordnung setzte.
Anklänge an dunkle Riten wie die Opferung der Iphigenie werden negativ bewertet.
177 Homer war prägend für alle Griechen, weil er selbst so griechisch war.
Plato: Er ist der große Führer und Lehrer.
Homer aus eigenem
Geist heraus infrage gestellt
177 Die Griechen blieben auf dem Weg, den Homer gewiesen hatte.
Homers Götter mussten dabei vor dem suchenden Geist anderen Konzepten weichen.
Hesiod: Neben Zeus hat die Gerechtigkeit ihren Platz.
Pindar: Homer habe Falsches über die olympischen Götter berichtet, weil nicht erbauend.
178 Der homerische Geist der Rationalität wandte sich letztlich gegen Homer selbst.
Xenophanes 6. Jhdt.: Menschen hätten sich Götter nach ihrem Bilde gemacht.
Es gäbe jedoch nur einen Gott, nicht menschlich, sondern nur Geist.
Gott Dionysos als der
notwendige und gezähmte Gegenspieler Apolls
178 Dionysos kam als letzter zu den olympischen Göttern hinzu.
Er gab eine Religiosität für das Herz, wie sie Homer und das kühle Delphi nicht gaben.
In Dionysos war der Gedanke verkörpert, dass der Mensch göttlich werden könnte.
Die Orientalen suchten Freiheit in Askese und Weltabwendung. Die Griechen in Lebenslust.
Dionysos war der Gegenspieler zum delphischen Apollo, der das Griechische verkörperte.
179 Aber die Griechen konnten sich nicht weit von Apollo entfernen.
Vom Vorgang der Synthese beider ist wenig bekannt, außer:
Orpheus, Schüler Apolls, soll die bacchischen Riten reformiert und geordnet haben.
Der orphische Dionysos wurde neben Demeter Zentrum der Eleusinischen Mysterien.
Die Eleusinische Mysterien waren bedeutsam, dennoch wissen wir kaum etwas über sie.
Eckpunkte: Ehrfurcht, Befreiung von Schuld, Unsterblichkeit.
Cicero, Plutarch als Eingeweihte.
Plutarch: Initiation wie der Eingang in den Tod: Licht, Felder, Gesang, Tanz.
Anm.: Affinitäten zu Nahtoderfahrungen.
180 Dionysos scheint dem griechischen Geist fremd.
Tatsächlich brauchte Apollo den Dionysus, und das Griechische Maß etwas zu mäßigen.
Plato: Wer nicht Inspiration und etwas Verrücktheit in sich trägt, ist nicht zugelassen.
Theater als
religiös-weltanschaulich überhöhendes Gemeinschaftserlebnis
180 Theater aus gottesdienstlicher Zeremonie entstanden: Synthese von Apollo und Dionysos.
Schauspieler sprachen nicht zum Publikum, sondern für es. Religiöser Akt.
Das Gemeinschaftserlebnis des Weltschmerzes machte ihn tragbarer
durch die Überwindung der Isolation des Einzelnen in diesem Schmerz.
Anm.: Man assoziiert Homo sum, puto nihil humanum mihi alienum.
Die Konstituierung eines politischen Wir-Gefühls kann davon nicht getrennt werden.
Plato: Im perfekten Staat weinen bzw. freuen sich die Menschen über dieselben Dinge.
Sokrates als
Erneuerer des griechischen Geistes
181 Protagoras: Ob es Götter gibt oder nicht, können wir nicht sagen.
Protagoras provozierte eine unbedeutende Ketzerverfolgung, die auch Sokrates anklagte.
Religion befindet sich in ständiger Veränderung.
Überkommenes wird infrage gestellt, das Neue als Bedrohung der Religion selbst gesehen.
Schließlich setzt sich das Neue als Religion durch, und neue Überkommenheiten treten auf.
Sokrates arbeitete an der Erneuerung des athenischen Geistes, der im Krieg vergangen war.
Sokrates und Platon glaubten an das Gute und dass niemand es ablehne, der es kenne.
Sie arbeiteten an der Bewusstmachung von Ignoranz ohne eine feste Lehre zu haben.
Die Überzeugung war, dass jeder nur für sich selbst das Gute finden konnte und musste.
182 Sokrates hinterfragte, machte ratlos, stieß Menschen vor den Kopf.
Aristoteles: Glück ist Aktivität der Seele. Sokrates versetzte die Seele in Aktivität.
Sokrates stieß auch durch sein Leben und Sterben vor den Kopf.
Sokrates: Schönheit und Gutheit haben eine höchst reale Existenz.
Vier Jahrhunderte vor Christus ermutigte er, im Leben einen guten Sinn zu sehen.
Anm.: Der Rekurs auf Christus ist hier höchst unpassend.
Anm.: Dass Sokrates und Platon keine Dogmen und Glauben kannten, ist schlicht falsch.
Natürlich bauten sie sich nach und nach ein System, was ja auch natürlich und sinnvoll ist.
Das entscheidende ist, dass ihre Methode die Offenheit des Denkens war und blieb.
Anm.: Hamiltons Darstellung
der griechischen Religiosität ist teils falsch
Zunächst trennt sie nicht deutlich zwischen herkömmlicher Religion und den neu aufkommenden Konzepten von Religion und Philosophie. Die traditionelle Religion wird fast ganz übergangen. Es ist z.B. schlicht falsch, dass es keine heiligen Bücher gegeben habe. Auch religiöse Autoritäten gab es. Das traditionell über allem herrschende Konzept war auch nicht die Areté, sondern das Schicksal. Die Idee der Areté ist dermaßen klar von den Philosophen aufgebracht worden, dass hier nicht getrennt zu haben keinen kleinen Faux-pas darstellt.
Dann trennt sie nicht deutlich zwischen Religion einerseits und Philosophie andererseits. Natürlich ist es völlig zutreffend, auch den Ideen der Philosophen religiöse Aspekte zuzuschreiben. Jedoch sind diese alles andere als traditionell und so sehr dem Reiche der Rationalität zugehörig, dass es sehr fraglich ist, ob man den Leser hier nicht irreführt, wenn man noch von „Religion“ spricht. „Metaphysik“ würde es wohl besser treffen. Abgesehen von den auch von ihr selbst zitierten Griechen, die Gottheiten und Religion insgesamt infrage stellten.
Dass Hamilton hier nicht zu vollendeter Klarheit über ihren Stoff gekommen ist, kann man auch sehr schön an ihrer Darstellung von den Reformzyklen der Religion ablesen: Sie sieht den ewigen Kreislauf aus Verkrustung, aus zunächst ketzerhaften Neuerungen, die sich schließlich durchsetzen und eine erneuerte Religiosität bewirken, und aus erneuter Verkrustung, viel zu naiv.
Erstens kann niemand, der diesen Zyklus einmal verstanden hat, selbst noch von einer Religiosität sein, die sich innerhalb eines solchen Zyklus bewegt. Vielmehr kann man nach der Erkenntnis dieses Zyklus nur nach zeitlosen Formen der Religiosität suchen – was die, die sich innerhalb des Zyklus befinden, übrigens auch tun. Keiner kann eine Religion wirklich glauben, und zugleich freudig erwarten, dass diese irgendwann einmal durch eine Erneuerung umgestoßen wird.
Zweitens aber trifft dieser Zyklus als Modell kaum auf die Zeit der griechischen Aufklärung zu. Hier ging es nicht um die Erneuerung der Religiosität, sondern auch um die Hinterfragung der traditionellen Religiosität an sich, und zwar aus einer eher metaphysisch denn religiös zu nennenden Warte, bis hin zur völligen Negierung von Religion. Und damit waren die Bedenken konservativer Kritiker der griechischen Aufklärung eben nicht Zeichen von Verkrustung, sondern in ihrem Sinne völlig berechtigt.
Sokrates als Erneuerer der griechischen Religion zu interpretieren ist falsch bzw. zumindestens grob schief. Besser ist es, ihn als Erneuerer des griechischen Geistes zu sehen.
Das, was der griechische Geist errichtete, wird auch von Edith Hamilton wohl kaum deshalb bewundert, weil es nur eine temporäre Form der Erneuerung im ewigen Zyklus der Religionsformen gewesen wäre, sondern doch gerade deshalb, weil sich hier zeitlos gültiges ausprägte, etwas, das nicht verkrustet, sondern höchstens in Vergessenheit gerät, und durch keine Erneuerung wieder umgestoßen werden kann.
Anm.: Edith Hamilton
scheint einer Art Kultur-Christentum verhaftet zu sein
Eine mögliche Ursache für ihre schiefe Sicht auf die griechische Religiosität könnte in ihrer eigenen Religiosität liegen. Es scheint, als sehe sie sich immer noch dem Christentum zugehörig, obwohl sie in ihrem Werk an zahlreichen Stellen genügend klare Aussagen trifft, die einen christlichen Glauben eigentlich ausschließen. Eine Lösung dieses Rätsels könnte sein, dass Edith Hamiltons Christentum nicht wirklich christlicher Glaube ist, sondern eine Art Kultur-Christentum, das das biblische Geschehen nur noch als symbolische Chiffren interpretiert.
Damit aber hat sie ihr eigenes Programm nicht konsequent durchgezogen, interpretiert das Christentum schlicht falsch, und gelangt so auch zu einer schiefen Perspektive auf die griechische Religiosität.
Kapitel XVI – The
Way of the Greeks
Blick auf den
größeren Zusammenhang
184 Wir heute sehen zuerst darauf, was den Einzelnen von anderen unterscheidet.
Die Griechen sahen darauf, was den Einzelnen mit der Menschheit verband.
Wir heute sehen die Dinge separiert, als Einzelheiten.
Die Griechen sahen alles im großen Zusammenhang.
184 Vergleich Kathedrale – Tempel: Bei der Kathedrale ist die Umgebung uninteressant.
Beim Tempel ist die Lage in der Landschaft alles.
Der Blick auf den
größeren Zusammenhang führt zur Vereinfachung des Details
185 Wer den großen Zusammenhang sieht, vereinfacht im Detail.
Genauso war der griechische Tempel vereinfacht.
185 Ebenso waren die Charaktere in den Tragödien vereinfacht.
Hauptdarsteller in der Tragödie war das unsichtbar waltende Schicksal.
186 Die griechischen Dramatiker sahen in jeder Figur nur, was sie mit der Menschheit verband.
Vergleich Klytemnestra und Lady McBeth.
189 Schicksalsgetriebene, geerbte Tragödie vs. persönliche Tragödie, persönliche Schuld.
Vergleich Hekuba in Euripides Troierinnen und Shakespeares Lear.
192 Die Vereinfachung lenkt den Blick auf das Umgebende:
Tempel: Landschaft – Theatercharaktere: Schicksal.
Die Vereinfachung im
Detail löscht die Individualität jedoch nicht aus
192 Die Vereinfachung löscht einen Grundcharakter nicht völlig aus.
193 So wie eine Skizze einen Charakter genauso treffen kann wie ein detailliertes Gemälde.
Beispiel Elektra: Jeder der drei Tragiker zeichnete sie ganz anders.
199 Die Vereinfachung der Charaktere ging nicht bis zum bloßen Typus.
Leiden ist eine höchst individuelle Sache, es konnte keine völlige Typisierung sein.
Der bloße Typus ist eine Sache der Komödie.
Typisiertes sei vor allem im Französischen zu finden.
Französisch: Interesse, was die Dinge sind. Intellektuelle.
Englisch: Interesse, was die Dinge bedeuten. Dichter der modernen Welt.
Rationalität/Typus
und Spiritualität/Individuum befinden sich in Balance
200 Griechen: Interesse an beidem, was die Dinge sind und was sie bedeuten.
„Ich bin ein Mensch, nichts menschliches ist mir fremd“: Individuum und Menschheit.
Höchste Tragödie: Das Leben Christi. Weder Typ noch detailliertes Individuum.
201 Sein Kampf ist von einer anderen Art als der unsere.
Niemals wurde das menschliche Herz so zu Mitleid und Ehrfurcht erregt.
Rationalität und Spiritualität in Balance.
Rationalität: Typus. Menschensohn.
Spiritualität: Individuum. Sohn Gottes, Marias.
Kapitel XVII – The
Way of the Modern World
Seit damals ist die
griechische Balance aus Rationalität und Spiritualität unerreicht
202 Die Balance zwischen Rationalität und Spiritualität war Ursache für alles Griechische.
Die westliche Welt irrt seitdem zwischen den beiden Polen hin und her.
Stoiker, frühes Christentum: Abwendung von Welt.
Mittelalter: Mäßigung, aber selbe Tendenz.
203 Renaissance: Lebenslust und Freiheitswille ging einher mit einem Verlust an Moral.
Reformation: Gedankenfreiheit und Moral, aber keine Lebenslust.
Ende 19. Jhdt.: Triumphzug der Wissenschaft auf Kosten der Spiritualität.
Nur in einzelnen Feldern wurde das griechische Ideal wieder erreicht.
Römisches „Summum ius summa iniuria“ zeige z.B. griechische Balance im Rechtswesen.
Heute sei der
Einzelne zu stark im Fokus
204 Für 19 Jahrhunderte war der Westen in der Schule des Individualismus, dem Christentum.
Die Ansprüche des Einzelnen brächten Unruhe und Umwälzung. Nicht Technik o.a.
Idee der Menschenrechte.
Heute würde der Einzelne für die Interessen der Mehrheit geopfert.
Der Einzelne wendet sich mit seinen Ansprüchen gegen das allgemeine Wohl.
Der Einzelne leidet an Überrealisierung, an zu starker Ich-Orientierung.
Über den Weg der
Wissenschaft zu mehr Balance zwischen Einzelnen und Ganzem?
205 Wir heute könnten den griechischen Standpunkt nicht wiedererlangen.
Das Rad der Zeit ließe sich nicht zurückdrehen, und das sei auch gut so.
Die starke Fokussierung auf den Einzelnen könne niemals mehr verloren gehen.
Die Wissenschaften hätten durch mehr Detailwissen Fortschritte im Ganzen gemacht.
Diese Methode könnte auch im sozialen Bereich Anwendung finden,
und aus dem Bewusstsein der Einzelnen ein Bewusstsein für den Zusammenhang schaffen.
Der Westen könne das
Ringen um die griechische Balance nicht aufgeben
205 Das Streben nach der griechischen Balance sei tief in der Natur des Westens verankert.
Der westliche Mensch kann keine der beiden Seiten ganz fallen lassen.
Jede Generation versucht die Balance von neuem herzustellen.
Der Osten könne das Äußere, das Rationale fallen lassen, der Westen könne es nicht.
Der Westen glaubte kurzzeitig, er könne das Innere, Spirituelle fallen lassen.
Aber diese Position war immer nur partiell und konnte sich nie lange halten.
For a hundred years
Athens was a city where the great spiritual forces that war in men's minds
flowed along together in peace; law and freedom, truth and religion, beauty and
goodness, the objective and the subjective – there was a truce to their eternal
warfare, and the result was the balance and clarity, the harmony and
completeness, the word Greek has come to stand for. (Edith Hamilton, The Greek
Way, Chapter XVII)
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Edith Hamilton ist in ihrer Glaubwürdigkeit umstritten. Vorgeworfen wird ihr Schwärmerei, historische Ungenauigkeit und letztlich idealistische Naivität.
Einige Kritikpunkte und Problemfelder wurden im Rahmen von Anmerkungen in dieser Inhaltsübersicht bereits angesprochen:
Eine Ungenauigkeit, die sich durch das ganze Werk zieht, ist die Frage, ob der neue Geist nun vor allem Athen oder doch ganz Griechenland zuzuschreiben ist. Auch wird nicht immer klar, wo Hamilton historische Darstellungen nur referiert bzw. wo sie die referierte Meinung teilt.
Weitere Kritikpunkte, die vom Autor dieser Inhaltsübersicht allerdings nicht geteilt werden, betreffen z.B. den von Hamilton beschriebenen Gegensatz von West und Ost oder die Tatsache, dass die Griechen die Sklaverei nicht abschafften.
Unbedarfte Kleingeister könnten zu dem Schluss kommen, Edith Hamiltons The Greek Way sei zu verwerfen. Insbesondere die im Rahmen des Kalten Krieges weit vorangeschrittene Zersetzung der Grundlagen klassischer und menschlicher Bildung und der Zerrüttung des Bewusstseins, was die westliche Welt ihrem Wesen nach ist, tragen zu dieser verfehlten Sichtweise bei.
Edith Hamilton ist in ihren Haltungen jedoch voll gerechtfertigt!
Ihre Schwärmerei, ihre Auslassungen, ihre Fehler und Versäumnisse sind ihrem Ausmaß und Gewicht nach nicht geeignet, das Grundsätzliche, was sie erkannt hat, ins Wanken zu bringen. Auch eine differenziertere Sicht auf die historische Wirklichkeit Griechenlands und Athens bringt zweifelsfrei zutage, dass hier etwas Neues in die Welt kam, was von Hamilton sehr genau erfasst wurde. Dass dieses Neue eines längeren Vorlaufs bedurfte, dass es damals mitten in dem Prozess seiner Verwirklichung stand und oft nur unvollkommen zur Entfaltung kam, und dass auch Gegenbewegungen sichtbar wurden - all das widerlegt Hamilton in keiner Weise.
Edith Hamilton selbst widerspricht an nicht wenigen Stellen allzu schwärmerischen Vorstellungen. Dass sie dies nicht konsequenter betrieb, könnte seine Ursache auch darin haben, dass sie für ein Publikum schrieb, das klassisch und menschlich gebildeter war als das Publikum unserer Tage.
Gelesen: 7. - 27. März 2004
Ausarbeitung: 31. März – 13. Juni 2004
Finis.